Investments in europäische Verteidigungsaktien – zu spät oder perfekte Portfoliodiversifikation?

Lange Zeit galten europäische Verteidigungsaktien als relativ uninteressant. Die europäischen Staaten führen ihre Verteidigungsbudgets zurück und verließen sich implizit auf den Schutz der NATO respektive der USA. Außerdem wurden Verteidigungsaktien unter Nachhaltigkeitsaspekten bis vor rund drei Jahren uni solo sehr kritisch beurteilt. Diese Ausgangslage hat sich durch den russischen Einmarsch in die Ukraine und den bis heute andauernden russischen Angriffskrieg spürbar geändert.
Als Reaktion auf den Ukraine-Krieg muss Europa seine Verteidigungsausgaben massiv erhöhen, um seine strategische Autonomie zu sichern und die eigene Industrie zu stärken. Beim NATO-Gipfel in Den Haag haben sich die NATO-Staaten zu einer beispiellosen Verpflichtung bekannt: ihre Verteidigungsbudgets bis 2035 auf fünf Prozent des BIP auszuweiten. Dies stellt für alle NATO-Staaten fast eine Verdoppelung der aktuellen Ausgaben von durchschnittlich 2,71 Prozent dar. In absoluten Zahlen bedeutet dies allein für Europa ein zusätzliches Volumen gegenüber heute von gut 1,2 Billionen Euro. Parallel zur NATO-Entscheidung hat die Europäische Kommission das Programm „ReArm Europe/Readiness 2030“ vorgestellt, durch das weitere rund 800 Milliarden Euro mobilisiert werden können – der größte kontinentale Verteidigungsimpuls seit dem Ende des Kalten Krieges. Hierdurch wird ein mehrjähriger Verteidigungs-Superzyklus erzeugt mit verlässlichen Umsatzströmen in einem traditionell hochmargigen Sektor. Die europäischen Staaten wollen mit diesen Mitteln gezielt bei heimischen Unternehmen ordern, was für Europas Verteidigungsindustrie in den kommenden Jahren eine Sonderkonjunktur bedeutet.
Auf diese Ausgangslage haben europäische Verteidigungsaktien in der vergangenen Zeit bereits reagiert und vor allem einzelne große Unternehmen haben teilweise beträchtliche Kurszuwächse erfahren. Für den Anleger stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob man bei diesen Einzeltiteln auf dem aktuellen Kursniveau noch investieren soll? Die naheliegende Idee, auf einen breiter gestreuten Branchen-ETF auszuweichen, ist im speziellen Fall der Verteidigungsaktien auch nur bedingt zielführend. Aufgrund der wenigen hochkapitalisierten Verteidigungsaktien machen bereits wenige Aktien in den marktgängigen Verteidigungs-ETFs rund 2/3 des gesamten Fondsvolumens aus, wodurch weder eine gute Diversifikation erzielt wird, noch kleinere Aktien die Chance haben, durch eine positive Entwicklung nennenswert zum Gesamterfolg des ETFs beizutragen. In diesem speziellen Fall kann ein aktiver Fondsansatz, bei dem ein Fondsmanager bewusst kleinere Verteidigungsaktien oder Aktien von Zulieferern zur Verteidigungsindustrie, deren Kurse noch nicht so stark gestiegen sind, in höherem Umfang beimischt, viel Sinn machen.
Zusammenfassend lässt sich allgemein konstatieren, dass durch die Beimischung von Verteidigungsaktien die Depotstreuung wesentlich verbessert werden kann. Verteidigungswerte korrelieren historisch gering mit anderen zyklischen Konsum- oder Tech-Titeln und bieten damit Portfolioschutz in volatilen Phasen. Obwohl die meisten Aktien aus dem Verteidigungssektor traditionell als eher „zyklisch“ und damit konjunkturabhängig eingestuft werden, sind sie aufgrund der oben beschriebenen Sonderkonjunktur in den kommenden Jahren tendenziell „defensiv“, also konjunkturunabhängig. Damit sollten sich die Portfoliodiversifikation und mithin die Risiken des gesamten Aktiendepots verbessern lassen. Ob ein Anleger dies über Investments in Einzelaktien, Branchen-ETFs oder aktiv gemanagte Verteidigungsfonds realisiert, ist letztendlich individuelle Geschmackssache, wobei aktuell gute Gründe für einen aktiv gemanagten Verteidigungsfonds sprechen.

Newsletter vom 17. September 2025
Martin Schilling – Leiter Geschäftsstelle Private Banking Hannover
M.M. Warburg & CO
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