Deutschland am Rande der Rezession
Die Wachstumsdynamik in Deutschland hat sich im Vergleich zum negativen Jahresende 2022 zwar verbessert, allerdings konnte das Statistische Bundesamt für das erste Quartal lediglich ein Nullwachstum, also eine Stagnation berichten. Umfragen unter Unternehmen verdeutlichen, dass zuletzt vor allem die konsumnahen Segmente Dienstleistungen und Handel die Konjunktur aufrecht gehalten haben, während die für die deutsche Volkswirtschaft besonders wichtige Industrie zunehmend unter einer schwachen globalen Nachfrage leidet. Entsprechend sank die Industrieproduktion im März um 3,3 Prozent im Vergleich zum Februar. Die Produktion im Baugewerbe fiel im Zuge steigender Stornierungen und sinkender Baubeginne sogar um 4,6 Prozent. Die Auftragseingänge im Verarbeitenden Gewerbe gaben um 10,7 Prozent nach und die Exporte fielen um 5,2 Prozent. Dabei brach der Gegenwert der nach China gelieferten Exporte mit einem Minus von 9,3 Prozent besonders stark ein.
Die global zu verzeichnende Nachfrageschwäche hat jedoch auch dafür gesorgt, dass Belastungsfaktoren der vergangenen Jahre entschärft wurden. So funktionieren Lieferketten mittlerweile wieder nahezu reibungslos und die Abfertigungsstaus vor großen Containerhäfen haben die Niveaus von vor der Coronakrise erreicht. Gleichzeitig sind die Preise für Energie und viele Rohstoffe an den Weltmärkten deutlich gefallen, so dass Unternehmen die aus dem Aufschwung nach der Pandemie resultierenden aufgestauten Aufträge vielfach abarbeiten konnten.
In den kommenden Monaten wird es daher wieder wichtiger, neue Aufträge zu erhalten. In der deutschen Industrie liegen die Hoffnungen dabei vor allem auf einer wieder zunehmenden Exportnachfrage und damit besonders auf einer starken wirtschaftlichen Belebung Chinas. Allerdings enttäuschten zuletzt sowohl der Anstieg der chinesischen Anlageinvestitionen um 4,7 Prozent als auch die Industrieproduktion mit einem Wachstum um 5,6 Prozent (jeweils für April im Vorjahresvergleich) die hochgesteckten Erwartungen. Die um 18,4 Prozent angestiegenen Einzelhandelsumsätze in China verdeutlichen hingegen, dass der Aufschwung bisher sehr stark binnenwirtschaftlich orientiert abläuft.
Sollte sich der Trend einer global schwachen Industriekonjunktur in den kommenden Monaten bestätigen, dürften die Erwartungen an die Unternehmensgewinne in diesem Sektor vielfach zu hoch sein. Künftig vermehrte Gewinnwarnungen könnten daher vor allem konjunktursensitive Aktien und Indizes wie den DAX vorerst ausbremsen.
Newsletter vom 24. Mai 2023
Carsten Mumm – Chefvolkswirt und
Leiter der Kapitalmarktanalyse
Privatbank Donner & Reuschel
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