Inflationsausblick: Euro-Aufwertung wünschenswert

Der Inflationsdruck bleibt hoch. Selbst eine Inflationsrate in Deutschland von über 8 Prozent in den kommenden Monaten ist nicht mehr auszuschließen. Dieser Inflationsdruck belastet die Stimmung der Verbraucher, stellt aber auch Unternehmen vor Herausforderungen. Zwar konnte der Preisdruck im Jahr 2021 relativ schnell weitergegeben werden; anhaltend hohe Rohstoffpreise in Kombination mit der sich eintrübenden Konjunktur führen jedoch zunehmend zu Margendruck bei Unternehmen.

Der erwartete Rückgang der Inflationsrate wird Akteure in der Wirtschaft unterschiedlich belasten. Konsumenten erleben aktuell einen spürbaren Rückgang ihrer Kaufkraft, denn noch sind die Lohnerhöhungen in der deutschen Wirtschaft überschaubar. So lag der effektive Anstieg der Tarifgehälter im März 2022 gerade mal bei 1,6 Prozent. Doch sollten die Löhne stärker steigen, wird der Margendruck für Unternehmen weiter zunehmen und den Investitionsausblick für den Standort Deutschland belasten. Werden Sonderzahlungen mitberücksichtigt, lag die Erhöhung der Tarifgehälter nämlich im März bereits bei 6,7 Prozent und damit nur knapp unter der Inflationsrate von 7,3 Prozent. Produktivitätssteigerungen könnten Gewinnmargen stärken und die Kaufkraft schützen. Verläuft jedoch die gesamte Konjunkturentwicklung schwach, ergibt sich nur wenig Raum für spürbare Produktivitätssteigerungen – es sei denn, Kapazitäten werden abgebaut, was weder die Inflationsentwicklung bremsen noch dem Wachstum helfen würde. Auch zeigt die deutsche Wirtschaft nun schon seit Jahren eine eher träge Dynamik beim Produktivitätswachstum.

Eine wichtige und wünschenswerte Anpassung ergäbe sich bei Rohstoffpreisrückgängen und einer Euro-Aufwertung. Beides würde die Kosten des Anpassungsprozesses hin zu einer niedrigeren Inflation auf die übrige Welt verlagern und die Inflationsrate schnell sinken lassen. Da eine Aufwertung eine geldpolitische Straffung bedeutet, führt sie eigentlich zu einer Stimmungseintrübung in der Wirtschaft. Die Frage ist jedoch, was wirkt weniger negativ auf Investitionen – eine Aufwertung des Euro oder steigende Zinsen? Im Kontext der aktuellen Inflationsbekämpfung scheint der Devisenkurs besser geeignet zu sein. Schließlich wird eine Aufwertung direkt zu sinkenden Importpreisen führen, was die Binnennachfrage eher stärkt als höhere Zinsen, die die Nachfrage schwächen und einen indirekten Einfluss auf den Preisbildungsprozess haben.

Aktuell sind es steigende Rohstoffpreise, zunehmender Margendruck, reale Einkommensverluste sowie die Sorge vor spürbaren Zinsanhebungen, die die Stimmung in der Wirtschaft belasten. Ein stärkerer Euro mag in diesem Umfeld als wünschenswert angesehen werden, weil die Aufwertung die Notwendigkeit von drastischen Zinserhöhungen abschwächen würde. Allerdings wertet eine Währung oftmals nur in Verbindung mit einer strafferen Geldpolitik auf, sodass niedrige Zinsen und eine stärkere Währung nicht unbedingt miteinander vereinbar sind. So müssten die Zinserwartungen an die EZB nach oben und die an die Fed nach unten tendieren, um eine gewisse Bewegung auf dem Devisenmarkt einzuleiten. Eine schnelle Abkühlung der US-Wirtschaft und eine damit deutliche Korrektur der Fed-Zinserwartungen wären also dafür notwendig, vor allem wenn die EZB sich weiterhin bedeckt hält. Aktuelle US-Stimmungsindikatoren deuten auf eine Abkühlung der US-Wirtschaft hin und somit auf die Möglichkeit einer baldigen Neueinschätzung der US-Geldpolitik durch die Märkte. Dies sollte dem Euro weiter Auftrieb geben. Wünschenswert wäre dennoch auch ein stärkeres Eingreifen der EZB im Vergleich zu dem, was aktuell erwartet wird. Schließlich sollten auch bei einem aktiveren Handeln der EZB die Zinsen immer noch auf einem niedrigen Niveau verweilen; der Einfluss auf den Devisenkurs und damit den Inflationsprozess könnte hingegen aufgrund der aktuellen Erwartungen dennoch nennenswert sein.

Newsletter vom 08. Juni 2022

Dr. Klaus Bauknecht – Chefvolkswirt
IKB Deutsche Industriebank AG

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